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Forschungsprojekt FlexHub - das Netz effizienter nutzen

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Die Energiewende stellt Netzbetreiber vor die herausfordernde Aufgabe, bei einer Vielzahl von dezentralen und unregelmäßig einspeisenden Erzeugungsanlagen (Photovoltaik, Windkraft, etc.) weiterhin einen sichereren Netzbetrieb zu gewährleisten.

Um diese Aufgaben zu bewältigen bedarf es eines kontinuierlichen Netzausbaus, welchen MITNETZ STROM seit vielen Jahren mit Hochdruck verfolgt. Eine weitere Möglichkeit ist es, vorhandene Netzstrukturen effizienter zu nutzen. Dies kann zum Beispiel erreicht werden, indem Stromerzeugung und Stromnachfrage durch intelligente Steuerung und Anreizschaffung flexibilisiert werden. Genau darum geht es im Forschungsprojekt FlexHub.


Über das Forschungsprojekt FlexHub

Das Projekt "FlexHub - Verteiltes Flexibilitätsdatenregister für Strommärkte der Energiewende" wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert. Das Vorhaben läuft seit 2019 und wird voraussichtlich am 31.12.2022 enden. Die Partner des Forschungsvorhabens sind FGH e.V. (Konsortialführer), Fraunhofer FIT, Fraunhofer FKIE, EnergieDock UG im Unterauftrag der HAW Hamburg, Kiwigrid GmbH, RWTH Aachen und MITNETZ STROM.

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Konkret wird ein Flexibilitätsdatenregister mit einem Energiemarkt für flexible Verbraucher und Erzeuger entwickelt. Was sich dahinter verbirgt und wie das Projekt hilft, zukünftig das Netz effizienter zu nutzen, haben wir mit den verschiedenen Beteiligten besprochen:


Worum geht es bei dem Projekt FlexHub und was ist das Ziel?


MITNETZ STROM: Im Forschungsprojekt FlexHub geht es darum, die Interessen des Kunden und die Anforderungen des Netzbetreibers an die Integration von erneuerbaren Energien und flexiblen Verbrauchern wie Elektromobilen gleichermaßen zu bedienen. Unser Ziel ist es, flexiblen Verbrauchern wie zum Beispiel Elektroautos zu ermöglichen, an einem Flexibilitätsmarkt teilzunehmen und dabei das Stromnetz optimal auszulasten. Dies wird durch eine verteilte, offene, dynamische und diskriminierungsfreie Plattform, das sogenannte Flexibilitätsdatenregister ermöglicht.

Die Stromkunden spielen dabei eine wichtige Rolle. Mit FlexHub wollen wir sie dazu anregen, sich netzdienlich zu verhalten. Praktisch heißt dies, dass sie ihren Strom vor allem dann verbrauchen, wenn besonders viel erneuerbare Energie im Netz zur Verfügung steht und eine Netzüberlastung droht. Also zum Beispiel Elektroautos genau zu diesen Zeitpunkten zu laden.

Die Kunden werden dazu künftig in ein Energiemanagementsystem eingebunden, dass ihnen per App ("MyFlex App") anzeigt, inwieweit es sich lohnt, das flexible Verbrauchsverhalten an den Preisen des Flexibilitätenmarktes auszurichten. Da in Zeiten mit hoher Einspeisung aus Wind- und Sonnenenergie an den Flexibilitätsmärkten attraktive Anreize zur Verfügung stehen, kann ein Kunde mit flexiblen Verbrauchsverhalten Geld sparen und leistet zugleich einen Beitrag zur Energiewende.

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Somit möchten wir eine umfassende Lösung für Flexibilität im Rahmen des Redispatch 2.0* realisieren, die auch auf künftige Engpassproblematiken, zum Beispiel in der Niederspannung durch E-Mobilität, übertragbar ist.


Welche Rolle nimmt der Markt für netzdienliche Flexibilitäten im Flexhub ein?

EnergieDock UG im Unterauftrag der HAW Hamburg: Der netzdienliche Einsatz von Verbrauchern muss koordiniert geschehen. Ressourcen, die bereit sind ihren Stromverbrauch zu verschieben, können dieses Angebot dem Netzbetreiber unter Festlegung eines Preises zur Verfügung stellen. Unserem Energiemarkt liegt dabei ein Datenmodell zugrunde, das von der physikalischen Anlage abstrahiert und so Vergleichbarkeit zwischen verschiedenen Anlagentypen schafft.  Über eine Optimierungssoftware kann der Netzbetreiber dann die für ihn passendsten und, vor allem vor dem Hintergrund der Wirtschaftlichkeit, auch preisgünstigsten Flexibilitätsangebote finden und buchen. Nach einer Buchung wird der Fahrplan der Flexibilitäten vom Markt verifiziert und an die entsprechenden IoT-Systeme* der Flexibilitäts-Anbieter verschickt. 

Auf diese Weise schafft der Markt einen  Anreiz für Endkunden, eine nachvollziehbare, preisgünstige und marktbezogene Engpassmaßnahme für Netzbetreiber und die nötige Nachvollziehbarkeit für Verbrauchsverschiebung gegenüber Bilanzkreisverantwortlichen.


Weswegen und in welcher Form wird hier eine IoT-Plattform eingebunden? 

Kiwigrid GmbH: Die IoT-Plattform dient dazu, große Datenmengen von dezentralen Energieressourcen, wie Photovoltaik-Anlagen, Stromspeichern und Ladesäulen, in Echtzeit, sicher und skalierbar zu verarbeiten. Sie besteht aus Diensten für die digitale Abbildung von Energiegeräten, energiespezifische Zeitserien sowie Mandanten- und Nutzermanagement. Die Kiwigrid GmbH stellt im Flexhub Projekt die KiwiOS.cloud als offene Plattform zur Verfügung. 


Im Projekt untersuchen Sie auch die Anwendung der Blockchain-Technologie. Welche Rolle spielt diese und wie wird das in der Praxis erprobt?

Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT: Das Fraunhofer FIT bearbeitet schwerpunktmäßig die Entwicklung des Blockchain*-basierten Flexibilitätsdatenregisters und die kommunikationstechnische Anbindung der dezentralen Flexibilitäten.

Ein Demonstrator auf Basis der Blockchain-Technologie wird aufgebaut, mit dem die Einsatztauglichkeit der Blockchain-Lösung nachgewiesen werden kann. Die Blockchain-Technologie ermöglicht die irreversible Speicherung von Transaktionen aller Akteure wie Verteilnetzbetreiber und dezentralen Flexibilitätsressourcen. Smart Contracts ermöglichen außerdem die Automatisierung bestehender Prozesse und lösen damit die Rolle des Aggregators als Zentralstelle des Flexibilitätsmarktes ab.

Die Anforderungen an die Kommunikations- und Steuerungstechnologie werden erst einmal analysiert, um eine zweckführende Anbindung von dezentralen Erzeugungsanlagen sicherzustellen. Hierfür wird in einer Simulation der Informations- und Kommunikationstechnik die Skalierbarkeit des Ansatzes und die Anbindung von dezentralen Flexibilitäten simulativ analysiert und in einer Laborumgebung verifiziert.


Im Projekt wird ein sogenannter "Kommunikations-Stack" entwickelt. Was genau ist das und wozu wird dieser eingesetzt?


Forschungsgemeinschaft für Elektrische Anlagen und Stromwirtschaft e.V. (FGH e.V.):  Der Stack* dient zur Kommunikation mit der FNN-Steuerbox* eines Smart Meter Gateways*. An diese angeschlossenen Erzeuger und Verbraucher können über Steuerbefehle in ihrem Wirkleistungsverhalten beeinflusst werden. So können Netzbetreiber unter bestimmten Voraussetzungen die Erzeugung dezentraler Anlagen abregeln und ein netzdienliches Lastmanagement von Verbrauchern, wie E-Fahrzeugen, realisieren.

Die FNN-Steuerbox enthält eine standardisierte Kommunikationsschnittstelle nach der internationalen Norm IEC 61850 und auch das zugrundeliegende Datenmodell basiert auf diesem Standard. Damit nun ein Netzbetreiber Steuerbefehle an die FNN-Steuerbox schicken kann, die diese versteht und umsetzen kann, wird ein IEC 61850 Client benötigt, der mit dem in der FNN-Steuerbox implementierten IEC 61850 Server kommuniziert. Und genau für diesen Client wird der Kommunikations-Stack benötigt.

Eingesetzt wird der entwickelte Stack im Labor unseres Projektpartners, der RWTH Aachen, wo wir dezentrale Anlagen in einem Leitungsabgang steuern werden, in dem ein Netzengpass auftritt, der – sofern keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden – zu einem kritischen Netzzustand führen kann. Konkret wird gezeigt, wie eine Wallbox mittels FNN-Steuerbox abgeregelt wird. 


Aktuell hört man in den Medien immer wieder Berichte über Cyber-Angriffe, auch auf kritische Infrastrukturen. Birgt dieses vernetze System des FlexHubs nicht ein immenses Gefahrenpotenzial?


Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE: In der Tat führt eine immer tiefer greifende Digitalisierung in der Energieversorgung zu neuen Herausforderungen. Im Projekt FlexHub versuchen wir diesen von Beginn an zu begegnen. 

Wir als Fraunhofer FKIE befinden uns im regen Austausch mit den Projektpartnern und weisen immer wieder mahnend auf potenzielle Sicherheitsprobleme hin. Dies ist keine dankbare Aufgabe - aber eine äußerst Wichtige. Denn dadurch wird die IT-Sicherheit bei allen Protokollen und der gesamten Systemarchitektur berücksichtigt und der sehr mühsame Prozess, die Systeme im Nachhinein zu analysieren und sicher zu machen, kann umgangen werden. 

Neben klassischen Ansätzen wie regelmäßigen Diskussionen über die Architekturen nutzen wir auch moderne dynamische Analysemethoden wie das sogenannte „Fuzzing“. Bei einer „Fuzzing“-Analyse wird Software, die eine Eingabe erwartet, zahlreichen mutierten und randomisierten Testfällen unterzogen. Dadurch sollen auch schwer auffindbare Fehler entdeckt werden.


Wieso erachten Sie es als notwendig die im Projekt entwickelten Inhalte in einer Laborumgebung zu testen? Ist es nicht möglich neue Konzepte direkt im Feld zu erproben?

RWTH Aachen: Unsere Laborumgebung stellt einen sehr wichtigen Übergang von theoretischen und simulierten Erkenntnissen hin zu realen Anwendungen im Feld dar. Da der reale Netzbetrieb sehr hohe Anforderungen bezüglich Verfügbarkeit und Versorgungsqualität hat ist es schwierig, neuartige Konzepte direkt im Feld zu erproben. Nebeneffekte, die in einer reinen Simulation nicht auftreten, können im realen Betrieb zu Komplikationen führen. 

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Damit Netzkunden nicht gestört werden, nutzen wir unsere Laborumgebung, um unter möglichst realitätsnahen Bedingungen die entwickelten Konzepte und Mechanismen zu erproben. So vermeiden wir, dass wir im Fehlerfall Kunden verärgern. Hierfür bauen wir ein komplett entkoppeltes Niederspannungsnetz auf, welches mit mehreren nachgebildeten Hausanschlüssen verbunden ist.

Um zukünftige Szenarien adäquat abbilden zu können, stehen zur Nachbildung der Hausanschlüsse digital steuerbare Betriebsmittel, wie Umrichter für Photovoltaik-Anlagen oder Batteriespeicher sowie Ladesäulen für Elektrofahrzeuge zur Verfügung. Mithilfe selbst entwickelter Energiemanagement-Algorithmen ist es möglich Flexibilitätsangebote mit dem FlexHub auszutauschen und entsprechende Flexibilität im untertägigen Betrieb bereitzustellen.

Validierungsversuche im Labor sind somit kein Umweg, sondern die entscheidende Brücke, um neue Konzepte in den realen Netzbetrieb zu integrieren.


Was bedeutet das für die Umsetzung in der Praxis?

MITNETZ STROM: Wir haben einen kundenorientierten und überraschend einfachen Prozess gefunden, der sich schnell in die Praxis umsetzen lässt. Ziel ist, eine weitgehend softwarebasierte Schnittstelle bereitzustellen, die auf einfache und kostengünstige Weise die Flexibilitäten in der Niederspannung nutzbar macht. 

Innerhalb unseres Netzgebietes werden Pilotkunden mit Elektromobilen im Rahmen eines Demonstrators im Jahr 2021/22 unsere Logik testen. Somit zeigen wir die technische Machbarkeit auf und generieren wertvolles Kundenfeedback.

Und noch mehr: die aufgezeigte Logik ist kompatibel mit zukünftigen Entwicklungen wie variablen Stromtarifen, Flexibilitätsmärkten und sogar dem Handel mit Rückspeisungen aus Elektromobilen (Vehicle2Grid).  

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*Begriffsklärungen

Redispatch 2.0
Das Ziel des Redispatch 2.0 ist es, eine kostengünstigere und diskriminierungsfreie Beseitigung von planbaren und nicht planbaren lokalen und regionalen Netzengpässen zu bewerkstelligen.

IoT-Systeme
Das „Internet der Dinge“, kurz IoT für "Internet of Things", ist ein vielbenutzter Begriff in der heutigen digitalen Welt. Kurz gefasst heißt es: Dinge sind über das Internet miteinander vernetzt. 

Blockchain
Die Blockchain (englisch für "Blockkette") ist eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen („Blöcke“) genannt, die mittels kryptographischer Verfahren miteinander verkettet sind. Jeder Block enthält dabei typischerweise einen kryptographisch sicheren Hash (Streuwert) des vorhergehenden Blocks, einen Zeitstempel und Transaktionsdaten. MIt der Technologie ist es möglich, sichere, nicht manipulierbare Transaktionen im Netz abzubilden. Neben dem  bekanntesten Anwendungsfall Kryptowährungen (Bitcoin, etc) eignet sich die Blockchain auch für viele andere Bereiche, bei denen sichere, manipulationsfreie Transaktionen abgebildet werden sollen.

Kommunikations-Stack
Ein Kommunikations-Stack verbindet Sensoren und Netzwerk miteinander und dient zur sicheren Kommunikation.

Smart Meter Gateway
Das Smart-Meter-Gateway (SMGW) ist die zentrale Kommunikationseinheit eines intelligenten Stromzählers. Die Hauptaufgabe des Smart Meter Gateways ist die sichere Datenübertragung.

FNN-Steuerbox
Die Steuerbox ist eine Weiterentwicklung intelligenter Rundsteuerempfänger zur Steuerung von Lasten und Tarifen, die den Anforderungen des FNN entspricht. Das Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (FNN) ist ein Ausschuss des Verbands der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE).